Die Bestrafung von Tätern für sexuellen Missbrauch

Schlagzeilen verkündeten „hohe Strafen für sexuellen Missbrauch“! Wie hoch sollte die Strafe sein für jemanden, der die Seele eines kleinen Mädchens so kaputt macht, dass sein ganzes Leben dadurch beeinträchtigt wird? Lebenslänglich?

Anfang dieses Monats gab es in den Medien zahlreiche Meldungen über einen Gerichtsprozess, in dessen Ergebnis zwei 39-jährige Männer wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt wurden.

Der Fall

Die beiden Männer stammen aus Krefeld bzw. aus Viersen, sie lernten sich übers Internet kennen. Das Internet wurde ihnen letztendlich auch zum Verhängnis, denn im Zusammenhang mit dem groß angelegten Missbrauchsverfahren – dem sogenannten Missbrauchskomplex Bergisch-Gladbach – wurden die beiden auffällig, da es zwischen ihnen und anderen des sexuellen Missbrauchs Verdächtigen zahlreiche digitale Kontakte gab, die nun aufgedeckt wurden. Die ganze Sache geriet ins Rollen, nachdem im Oktober 2019 bei einem Mann in Bergisch Gladbach Tausende kinderpornografische Bilder und Videos entdeckt wurden. Der 43-jährige Familienvater wurde festgenommen.

Die polizeilichen Nachforschungen wirkten daraufhin wie das bekannte „Schneeballsystem“, so dass man letztendlich über eine riesige Datenmenge verfügte, die es seitens der polizeilichen Ermittlungsgruppe „Berg“ zu prüfen galt. Diese Gruppe besteht aus weit über hundert Mitgliedern, sie arbeitet heute noch. Der Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW, Marcus Hartmann, sprach in diesem Zusammenhang von einer Zahl von 30.000 verdächtigen IP-Adressen. Das entspricht nicht zwangsläufig einer Zahl von 30.000 unbekannten Tatverdächtigen, da der eine oder andere Täter ja durchaus mit mehreren Geräten und mehreren IP-Adressen operiert haben könnte. Dennoch ist es eine unglaubliche Zahl!

Der Missbrauchsfall von Bergisch Gladbach wurde so zum größten Verfahren wegen sexueller Gewalt an Kindern in der Geschichte der nordrhein-westfälischen Polizei.

Die Anklage:

Die beiden Männer aus Krefeld und Viersen wurden wegen schweren sexuellen Missbrauchs in über 100 Fällen und wegen des Besitzes und der Verbreitung kinderpornografischer Schriften angeklagt.

Der Krefelder hat im Verfahren gestanden, seine Tochter seit 2016 regelmäßig sexuell missbraucht zu haben. Er lebt von der Mutter des Mädchens getrennt. Im Rahmen einer Umgangsregelung hielt sich seine Tochter häufig besuchsweise bei ihm auf.

Das Mädchen ist heute elf Jahre alt, sie wurde also seit ihrem siebten Lebensjahr über einen Zeitraum von vier Jahren von ihrem Vater sexuell missbraucht.

Der Mann aus Krefeld gestand weiterhin, dass er sich ab Frühjahr 2017 gemeinsam mit dem Mann aus Viersen an dessen Nichte sexuell vergangen hatte.

Der Viersener dagegen gestand zwar, seine Nichte seit 2015 sexuell missbraucht zu haben, jedoch gab er nur ungefähr ein Drittel der ihm zur Last gelegten Fälle zu. Zum Vorwurf des gemeinschaftlichen Missbrauchs schwieg er bis zum Ende der Verhandlungen.

Beide Männer hatten ihre Taten in großem Maßstab fotografiert und auch gefilmt.

Die Nichte des Vierseners ist heute zwölf Jahre alt. Als sie von ihrem Onkel zum ersten Mal missbraucht wurden, war sie gerade mal sieben Jahre alt. Sie wurde über einen Zeitraum von fünf Jahren missbraucht – in den letzten beiden Jahre sogar von zwei Männern. Das Mädchen war häufig bei ihrem Onkel in Viersen zu Besuch, wenn ihre Mutter – die Schwester des Täters – etwas zu erledigen hatte oder sich mal eine „kinderfreie Zeit“ gönnen wollte.

Das Urteil:

Der Mann aus Krefeld muss für dreizehneinhalb Jahre ins Gefängnis.

Der Mann aus Viersen erhielt eine Freiheitsstrafe von vierzehneinhalb Jahren. Dass man ihm ein Jahr länger aufgebrummt hat, hat er der Tatsache zu verdanken, dass er im Gegensatz zu dem Krefelder nicht so umfassend geständig war.

Und danach? Was wird sein?

1. Die Täter:

Der Krefelder wird ca. 53 Jahre alt sein, wenn er seine Strafe vollständig verbüßt haben wird. Unter bestimmten Voraussetzungen könnte er aber auch früher entlassen werden.

Der Viersener wird ca. 54 Jahre alt sein. Aber natürlich kann auch er vorzeitig entlassen werden.

Ich stelle mir die Männer vor, wie sie am Entlassungstag mit ihren Reisetaschen oder Rucksäcken, mit Koffer, Karton oder Plastiktüten aus dem Tor der Justizvollzugsanstalt – kurz Knast – heraustreten. Mit ergrautem Haar, vielleicht auch schon mit Halb- oder Vollglatze. Aber das ist ja relativ unwichtig bei einem Mann. Die Klamotten, die sie tragen, werden sicher nicht nach der neuesten Mode sein, die Haut fahl und blass, der Körper aktuell bestimmt nicht gerade durchtrainiert. Aber das kann man alles ändern. Für wenig Geld und mit wenig Aufwand. Etwas Disziplin und etwas Solarium – das kann für den Anfang schon eine Menge ausmachen.

Die berufliche Karriere – falls es zuvor überhaupt eine gegeben haben sollte – ist nach so vielen Jahren ordentlicher Job-Abstinenz höchstwahrscheinlich im Eimer. Ob Resozialisierungsmaßnahmen in ausreichendem Maße greifen können, hängt wohl vor allem von der Persönlichkeit jedes Einzelnen ab und nicht zuletzt davon, ob er bei allen seinen Vorhaben wenigstens auch ein bisschen Glück hat.

Ein nicht zu unterschätzender Fakt ist, dass ehemalige Strafgefangene stigmatisiert werden, eine der Ursachen dafür, dass es bei Weitem nicht alle zurück in die Normalität schaffen. Es heißt, dass ungefähr die Hälfte aller ehemaligen Strafgefangenen innerhalb von neun Jahren nach ihrer Entlassung wieder straffällig werden.

Also keine allzu rosigen Aussichten für die Täter.

2. Die Opfer:

Und wie steht es um die Opfer?

Am Entlassungstag der Täter werden die Mädchen ungefähr 26, 27 Jahre alt sein. Junge Frauen, denen man wahrscheinlich nicht ansehen wird, dass es in ihre Kindheit jemanden gab, der sich verantwortungslos, rücksichtslos, egoistisch an ihnen vergangen hat.

Vielleicht sind die jungen Frauen verheiratet, haben kleine Kinder, vielleicht können sie eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen. Möglicherweise geht es ihnen recht gut, sie haben sich ein Leben aufgebaut, in der ihre kleine Familie, in der Geld verdienen und Spaß haben eine wichtige Rolle spielen.

Natürlich wünsche ich es ihnen, habe allerdings meine Zweifel. Denn bedauerlicherweise habe ich von allen Frauen, die mir ihre Missbrauchsgeschichte erzählten, erfahren müssen, dass ihre Jugendzeit und überhaupt alles, was nach dem Missbrauch kam, einfach nur schwierig war. Und oft war es sogar so schwierig, dass sie an ihrem ganzen Dasein immer wieder fast verzweifelt wären.

Anschauliche Beispiele dafür sind u. a. meine beiden Bücher „Kindheitshölle: Vom Vater verprügelt und missbraucht“ und „Kindheitshölle: Vom Stiefvater verprügelt und missbraucht“. Einmal Opfer – immer Opfer – die Frauen befinden sich  bereits im Kindesalter in einem Dauerzustand der Hilflosigkeit, der Machtlosigkeit und Angst.

Diese Frauen leiden häufig zeit ihres Lebens an deutlichen Minderwertigkeitskomplexen. Langanhaltende psychische Störungen bestimmen ihre Tage. Posttraumatisches Belastungssyndrom, Depressionen, Essstörungen, Borderline – das alles sind für solche Frauen nicht nur irgendwelche Diagnosen, sie kennen sich zwangsläufig meist sehr gut damit aus.

Die Liebesbeziehungen solcher Personen sind fast immer stark beeinträchtigt, sexuelle Störungen sind an der Tagesordnung. Nicht selten ist diesen Frauen erst nach vielen Jahren, nach mehreren Therapien, mit der Hilfe eines überaus hilfreichen und verständnisvollen Partners ein halbwegs normales Leben möglich. Manche schaffen es nie.

Was sind 13,5 oder 14,5 Jahre Gefängnis gegen ein lebenslanges Gefangensein im eigenen Körper? Ein Leben, eingeschlossen in der eigenen gestörten Psyche?

Und trotzdem: Es ist wichtig für die Opfer, dass die Täter bestraft werden! Je früher man sie überführt – desto besser. Je mehr man ihnen aufbrummt – desto besser. Außerdem: In der Haft gilt seit eh und je und bis heute: Kinderficker haben dort keinen leichten Stand! Im Gegenteil! Und das ist auch gut so.

Übrigens gaben die Mütter beider Mädchen vor Gericht an, von all dem nichts gewusst zu haben.

Auch das ist typisch. Genauso haben es mir die Opfer jedes Mal erzählt. Was mich dann auch jedes Mal aufs Neue erstaunt und entsetzt hat.

Die Mütter haben nichts bemerkt, nichts gespürt, nichts gesehen, nichts befürchtet, nichts gehört, nichts gerochen, nichts gefühlt, nichts geahnt … Wirklich nichts? Zu keinem Zeitpunkt?

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